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Streiflicht:

Material – Erfahrung Winter

Kleinkinder finden Material interessant, welches seinen Zustand verändert, zum Beispiel wenn eine Baumwurzel oder ein Baum morsch ist und zerbröselt.

Bernd ist 2 Jahre alt und läuft unter öfterem Hinfallen über das buckelige Gelände der Obstbaumwiese. Plötzlich sieht er das Material welches wie braunes Sägemehl aussieht und unten, gerade über der Erde, wie aus einer Art kleinem Tor, einem Loch aus dem Baumstamm herauskommt. Er nimmt sich eine der kleinen Schaufeln die wir immer dabei haben und schaufelt dieses Material mit Hingabe aus der kleinen Höhlung heraus. Er trägt die volle Schaufel durch das nasse Gras bis er – nach wenigen Metern – an der Straße angelangt ist. Dort verstreut er das grobe Mehl in aller Ruhe, etwa so wie man es beim Streuen von Sand oder Salz bei Glatteis macht. Er murmelt dabei vor sich hin, dass er streut und ist ganz und gar absorbiert von dieser Tätigkeit.

Kurz schaut er zu mir, so, als würde er abspüren wollen, ob ich es auch gesehen habe was er gefunden hat. Oder auch, ob ich noch da bin und Zeit habe. Beides beantworte ich ihm schlicht, indem ich ihn anlächle und etwas sage, so ähnlich wie: „Das ist ja etwas! Da kommt Mehl aus dem Baum, zum Glück haben wir eine Schaufel dabei!“ Was ich genau sage, ist für ihn gar nicht wichtig. Es ist aber sehr wichtig, dass ich ihn sehe, ihn gewähren lasse (dass es für mich in Ordnung ist was er tut und ich nichts dagegen habe oder weggehen möchte) und mich mit freuen kann. Mehr braucht er überhaupt nicht!

Er lächelt ganz still und zufrieden in sich hinein und holt eine ganze Weile immer wieder neue Schaufeln voll. Er freut sich über die kleinen Bereiche auf der Straße, wo das Mehl liegt, was er verteilt hat, und weist mich darauf hin, dass es da liegt und dass er das gemacht hat.

Mehr braucht er nicht um sicher 15 Minuten glücklich zu sein!

Zwischendurch landet natürlich einmal eine Schaufel voll auf seinen nassen Gummistiefeln, weil er ein wenig das Gleichgewicht verloren hat, oder er beobachtet, wie das grobe Mehl an den nassen Gräsern hängen bleibt, wenn er es auch auf die Wiese streut.

Bernd ist sowohl ernst als auch froh, er ist konzentriert und aktiv, er muss seine Hand mit der vollen Schaufel, die Grasbüschel der Obstbaumwiese und die Richtung in die er gehen möchte im Blick haben, er arbeitet planvoll und zielstrebig.

Es tut ihm gut und unterstützt ihn, dass ich da bin und ruhig bin. Wir haben genug Zeit so lange dort zu bleiben, bis er fertig ist mit seiner Erfahrung. Oder vielleicht so lange bis er an das Mehl nicht mehr gut drankommt, weil er alles erreichbare Mehl ausgeschaufelt hat…

Ich kann sehen, dass er diese Selbstwirksamkeit genießt und dass diese Tätigkeit für ihn sehr bedeutsam ist. Er tut es aus sich heraus, aus eigenem Antrieb, er hat es selbst gefunden und kann es selbst genau so umsetzen wie er das will. Er strahlt eine große Zufriedenheit aus, er ist mit sich selbst verbunden und tut genau das, was er tun möchte und genauso wie er es tun möchte. Er ist in sich ruhend, zufrieden und glücklich, weil er etwas selbst gefunden hat.